Was tun bei Schwindelgefühlen?

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Immer wieder werden wir in unserem Praxisalltag mit einem ganz besonderen Thema konfrontiert: mit Schwindelgefühlen. Zunächst einmal ist es das Wichtigste, den Schwindel einzuordnen und abzugrenzen. Wir beschäftigen uns heute mit dem benignem paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS). Was sich sehr kompliziert anhört, ist eigentlich nur die sehr treffende Bezeichnung in Fremdwörtern.

Nehmen wir uns das Ganze einmal der Reihe nach vor. Benigner, lateinisch für »gutartiger«. Natürlich ist an einem Schwindelgefühl subjektiv gesehen gar nichts Gutes. Gemeint ist damit jedoch, dass es keine krankhafte oder traumatische Ursache gibt, sondern lediglich ein mechanisches Problem vorliegt. Und das ist tatsächlich gut.

Paroxysmal, ebenfalls lateinisch für »anfallsartig«. Auch diese Bezeichnung könnte treffender nicht sein. Wer schon mal mit BPLS zu tun hatte, weiß, dass die Beschwerden innerhalb kürzester Zeit maximal vorhanden sind.

Lagerungsschwindel, ausnahmsweise nicht lateinisch, dennoch einer kurzen Erläuterung wert. Der Lagerungsschwindel tritt ausschließlich beim Lagewechsel auf – zum Beispiel beim Drehen im Bett oder beim Schulterblick im Auto – und hält dann für etwa zehn bis 20 Sekunden an. Ein wichtiges Symptom ist Drehschwindel, also eine nur gefühlte vorhandene Rotation im Raum. Oftmals geht das starke Schwindelgefühl mit Erbrechen und Angstzuständen einher.

Denn jeder Schwindel, der länger als diese zehn oder 20 Sekunden anhält beziehungsweise sich überhaupt nicht mehr zurückbildet, ist kein Lagerungsschwindel. Ich weiß aus dem Praxisalltag, dass der Schwindel so heftig sein kann, dass ein geordneter oder gar selbstständiger Alltag nicht oder nur bedingt möglich ist. Wenn in dieser Situation die Patienten zu uns kommen, beherrscht sie der Schwindel so sehr, dass auf die Frage »Wie lange hält der Schwindel denn an?« oft die Antwort »minutenlang« oder gar »Er ist ständig da« kommt. Das sagen die Patienten natürlich nicht, um uns Therapeuten in die Irre zu führen oder unser Fachwissen zu testen, sondern sie empfinden es tatsächlich so.

Woher kommt dieser Schwindel nun? Unsere Ohren sind unsere Gleichgewichtsorgane. In ihnen finden sich so genannte Otolithen aus Calcit-Kristallen. Sie schwimmen in einer gelartigen Flüssigkeit und informieren das Gehirn mit Hilfe von Sinneszellen über Lageveränderungen im Raum, ähnlich wie das die Beschleunigungssensoren in Smartphones oder Fitness-Armbändern machen. Diesen Kristall-Flüssigkeits-Komplex gibt es in jedem Ohr zweimal. Er ist dafür zuständig, Geschwindigkeitsveränderungen zu erkennen, und zwar sowohl horizontal als auch vertikal. Außerdem gibt es die Bogengänge, die die kreisförmigen Bewegungen unseres Körpers ans Gehirn melden.

Im Laufe des Lebens kommt es vor, dass sich so ein Otolith auf Entdeckungsreise begibt. Je älter wir werden, desto eher passiert das. Bevorzugtes Reiseziel ist dabei der hintere vertikale Bogengang, also dort, wo die Rotation erfasst wird. Und jetzt erinnern wir uns an das oben erwähnte Symptom des Lagerungsschwindels: den Drehschwindel. Das bedeutet, wenn ich mein Lage verändere, zum Beispiel mich morgens im Bett aufrichte, kommt dieser »urlaubende« Kristall in meinem Bogengang in Bewegung. Die Folge: Mein Gehirn bekommt eine Rotation gemeldet. Allerdings sagen mir meine Augen und mein Muskel-Sehnen-Apparat etwas komplett anderes – nämlich dass ich einfach nur auf meinem Bett sitze. Diesen Widerspruch kann unser Gehirn ab einer bestimmten Intensität nicht mehr verarbeiten – und mir wird übel. Das ist übrigens auch der Hintergrund der Seekrankheit: Mein Körper bewegt sich auf und ab, ich sitze jedoch still in einer Kabine, in der sich nichts bewegt. Und wieder hat mein Gehirn einen Widerspruch, den es nicht verarbeiten kann. Die Toleranz, was noch als erträglich empfunden und wann einem speiübel wird, ist bei jedem Menschen unterschiedlich.

Aber kommen wir wieder zu unserem Otolithen zurück. So sehr wir dem kleinen Racker seinen Ausflug auch gönnen, so sehr möchten wir doch auch, dass er wieder die Heimreise antritt. Und bei dieser Heimreise kommt der HNO-Arzt oder ein Physiotherapeut ins Spiel. Es handelt sich lediglich um ein mechanisches Problem: Der Kristall hat irgendwie einen Weg in den Bogengang gefunden, und auf dem gleichen Weg kann er auch wieder hinausbefördert werden. Dazu sind lediglich anatomische Kenntnisse nötig: Der behandelnde Therapeut muss wissen, in welchem Bogengang sich der Kristall befindet und in welcher Richtung der Ausgang liegt. Wenn er dies in Erfahrung gebracht hat, kann er unseren kristallinen Freund wieder nach Hause bringen. Dazu sind nur einige Testbewegungen nötig.

Doch bevor das stattfinden kann gilt es zunächst einen Arzt zu konsultieren – auch um andere, gravierendere Ursachen auszuschließen. Doch wenn die Diagnose erst einmal gesichert ist, steht einem schwindelfreien Alltag nichts mehr im Weg. Erfahrungsgemäß dauert der Weg zur Erkenntnis oft länger als die Therapie.

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